Donnerstag, 30. Januar 2020

Michaela Erlmeier über Chaiim und die Rolle der Frau in Indien

“We Celebrate Women”

Ein starkes Statement, das insbesondere im Kontext mit Indien überraschend klingen mag.

In der öffentlichen Wahrnehmung ist es das traditionelle Rollenbild in Indien, das die über Jahrhunderte gewachsene patriarchalische Gesellschaft „feiert“.
Nach diesem widmet sich die Frau ausschließlich dem Wohl der Familie, vor allem nachdem sie infolge der zumeist arrangierten Heirat in den Familienverbund des Bräutigams eingetreten ist; die Erlaubnis ihres Ehemannes, arbeiten zu gehen, bleibt dabei immer noch die Ausnahme.

Die indische Frau im 21. Jahrhundert darf sich zwar über zahlreiche staatliche Bildungs-, Förder- und Schutzprogramme freuen, jedoch scheitert deren Umsetzung in der Praxis häufig an der tief verwurzelten, traditionellen Familienkultur.
 
Bei unserem Intensivseminar „Chances und Challenges“ vergangene Woche berichtete Michaela Erlmeier über ihren Einsatz bei Chaiim in Mumbai. Es ist ihr eine Herzensangelegenheit, die Geschichte hinter dem Unternehmen Chaiim publik zu machen.

Mit dem Slogan „We Celebrate Women” rückt die indische Nähwerkstatt Chaiim Humanitarian Clothing nicht nur ihre weiblichen Mitarbeiter in den Mittelpunkt, sondern feiert sie aufgrund ihrer Vergangenheit als women survivors:
Überlebende, die aus den Fängen des Menschenhandels befreit werden konnten und nun Mut und Willensstärke zeigen, zurück in die Gesellschaft zu finden und ein selbstbestimmtes, finanziell unabhängiges Leben zu führen.
Humanitarian Clothing ist bei Chaiim kein leeres Versprechen, denn die Frauen erhalten in der Textilproduktion faire, existenzsichernde Löhne bei menschenwürdigen Arbeitsbedingungen.

Als Volunteer Manager konnte ich im Sinne der Stiftung managerohnegrenzen das indische Unternehmen Chaiim Humanitarian Clothing mit Management Know-how unterstützen, um damit deren eigenständige wirtschaftliche Entwicklung weiter zu fördern.
Doch neben der Sicherung bestehender und Schaffung neuer Arbeitsplätze zeichnete sich das Projekt durch eine besondere gesellschaftliche Dimension aus:
Frauen, selbst jene, die zeitweise am äußersten Rand der indischen Gesellschaft standen, können einen Beruf erlernen, ihren Lebensunterhalt selbst verdienen und auf eigenen Beinen stehen.
Für junge Mädchen, die aufgrund der noch immer weit verbreiteten Mitgift-Tradition als großes Armutsrisiko gelten, übernehmen diese Frauen eine wichtige Vorbildfunktion und leisten somit einen bedeutenden Beitrag auf dem Weg Indiens in eine moderne Gesellschaft.


Wenn ihr noch mehr über Michaela und ihrem Einsatz in Indien erfahren wollt, kommt ihr hier zu ihrem Gastbeitrag:
 

Donnerstag, 9. Januar 2020

Wie eine Orange zum König von Sambia führt

Unser Manager ohne Grenzen,
Manfred Klepacz, nimmt den Auftrag in Sambia
von Chief (König) Cooma entgegen:
160.000 Menschen in seinem Chiefdom warten
auf Unterstützung im Rahmen seiner
Aufbauinitiative.
Sambia. Die größte Stadt ist Lusaka. Etwa jeder achte Einwohner des Landes lebt in der Hauptstadt. Manfred Klepacz war nur kurz dort. Für Manager ohne Grenzen war er für vier Wochen in einem Dorf im Nirgendwo. 50 Kilometer entfernt von der nächsten Stadt, die wiederum sechs Stunden von der Hauptstadt entfernt liegt. Manfred kann seiner Frau am Telefon keine genaue Adresse von seinem Aufenthaltsort nennen. Nur GPS-Koordinaten führen ihn zum Ziel.
„Es gibt keine Autos, das Dorfleben findet in der Familie statt, aber dafür haben sie hier den tollsten Sternenhimmel, den ich je gesehen habe“, schwärmt der pensionierte CEO eines internationalen Chemieunternehmens über seinen Projekteinsatz.
Durch GPS-Koordinaten
 gelangt Manfred nach langer Reise
letztendlich an sein Ziel in Afrika.

Manfreds Projektpartner ist der Headman (Bürgermeister) des Dorfes, Jonsen, der ihn hier mit Frau und vier Kindern erwartet. Manfred bekommt für seine Zeit sogar eine eigene Hütte, ein großes Privileg. Und ist es denn nicht so, dass man als Weißer erst mal mit Argwohn betrachtet wird? „Nein, ganz im Gegenteil. Immer hat sich irgendwer für meine Hilfe bedankt. Und Jonsen ist wirklich ein faszinierender Mensch.“
Ähnlich wie Manfred blickt Jonsen auf eine spannende Unternehmerkarriere zurück. Er habe Anfang 2000 mit neun anderen Frauen und Männern aus dem Dorf eine Initiative gegründet: Nähmaschine wurden angeschafft, um Schuluniformen zu nähen. Dieses Business laufe mittlerweile autonom, Jonsen habe es in die Hände der Einheimischen zurückgegeben. Jonsen sprühe vor Ideen und Unternehmergeist, sei kaum zu stoppen, berichtet Manfred. Dessen jüngstes Projekt sei nun eine Orangenplantage, die er mit seiner Frau entwickelt. „Die Plantage soll als Musterplantage dienen. Mit dabei ist auch ein Trainingscenter, um anderen Farmern in der Region best farming practice beim Aufbau und Administration einer Plantage zu bieten“, erklärt Manfred. Die Orangenplantage soll Jonsens Familie für die nächsten vier Jahre ernähren.

Jonsen ist Dorfältester, Bürgermeister, Entscheider. Nach einigen Dürrejahren und ausbleibender Maisernste hat er sich für die Orange entschieden. Denn Orangen-Plantagen bieten zusätzliche Einnahmequellen und in Afrika gibt es einen existierenden Markt für High-Value-Food.

Doch so einfach ist der Anbau von Orangen nicht. Für ihre Entwicklung benötigen sie Wärme, Sonne, Wasser, ausgeklügelte Anbaumethoden und Pflanzenschutz. Hitze vertragen die Bäume gut, Wassermangel dagegen schlecht. Für die Plantage musste also ein Brunnen gegraben werden. Jonsen arbeitet mit einer solarbetriebenen Pumpe. Die Plantage betrachte er nicht nur als reine Einnahmequelle, sondern auch als „eine Möglichkeit, Menschen zusammenzubringen“. Er lädt andere Farmer ein, und zeigt, wie sie die Kraft der Sonne nutzen können, um mit dieser Wasser zu schöpfen. 
Die ersten Orangenbäume tragen bereits Früchte
Beim Gottesdienst versammeln
 sich alle umliegenden Dorfbewohner;
das können oft bis zu 500 Menschen sein.
Manfred hilft mit seinem Knowhow aus kommerzieller Sicht. Er unterstützt Jonsen bei der konzeptionellen Planung und Kalkulation der Plantage. „Wie viele Orangen können gepflanzt, wie viele geerntet werden, wie groß muss die Ernte sein, um das Darlehen zu begleichen, wie hilft eine Software, wie Excel dabei, und wie setze ich diese Tools am effektivsten ein?“ Bei all diesen Fragen und weiteren steht Manfred Jonsen als Gesprächspartner und Coach zur Seite. Gemeinsam entwickeln sie einen strategischen Businessplan für die Plantage und erarbeiten Vertriebsstrategien für die Vermarktung. Außerdem zeigt er Jonsen in sales trainings, wie dieser sein Wissen bestmöglich an andere Farmer weitergeben kann.
Das Trainingscenter, das interessierte
 Farmer der Region einlädt, best practice Erfahrungen zu sammeln

Aber nicht nur Jonsen arbeitet an seinen Präsentations-skills, auch Manfred selbst muss sich und sein Können unter Beweis stellen: Die Einführung in die Dorfgemeinschaft erfolgt für ihn über den Gottesdienst. Hier wird er aufgefordert eine spontane Rede über sich und seine Reise nach Sambia zu halten und schüttelt nach der Kirche alle 400 Hände, die ihm neugierig entgegengestreckt werden. Jeder möchte den Neuankömmling persönlich begrüßen. Für Manfred kein Problem “wir bauen Brücken.“

Gegen Ende des Einsatzes nimmt Jonsen Manfred mit zum Palast, wo der Manager ohne Grenzen Chief Cooma von Sambia kennenlernen soll. Aus den ursprünglich geplanten zehn Minuten Händeschütteln entfacht eine vierstündige intensive Diskussion mit dem König. Das Thema: die Zukunft Sambias. Cooma stellt Manfred sein Infrastrukturmodell zur Entwicklung der Community vor, welches er mit anderen Senior-Headmen erarbeitet hat und für das er dringend Menschen braucht, die ihm bei der Umsetzung helfen. Und Coomas Reichweite ist beachtlich: Der Chief zählt 160.000 Leute in seinem Kingdom. Nach diesem ersten Kennenlernen gibt es bald weitere Treffen zwischen Manfred und dem König, in denen Köpfe rauchen und Pläne immer konkreter werden.

An der Organisation Manager ohne Grenzen schätzt Cooma besonders das fortschrittliche Denken, für seine Community lebt er nach dem guiding principle:„Wir nehmen zwar gerne Hilfe an, aber wir wissen, wenn wir Hilfe erhalten, müssen wir hart arbeiten, um zu beweisen, dass wir diese verdient haben.“ Das deckt sich mit der Philosophie von Manager ohne Grenzen: Lokaler Ownership muss kreiert werden, um Armut langfristig zu bekämpfen.

Kehrt Manfred bald zurück nach Sambia? „Aber sicher, und zwar bereits in drei Monaten.“ Im Rahmen einer feierlichen Zeremonie unterzeichnet er für Manager ohne Grenzen den Vertrag (MoU) zur Umsetzung des Entwicklungsplans für Cooma Chiefdom und weitere Projekte ähnlich der Orangenplantage.

Und Jonsen? Der sei, so Manfred, jetzt gut aufgestellt und bekräftige erst mal ohne weitere Unterstützung klarzukommen. Er werde ihn vielleicht wieder in einem Jahr besuchen, wenn die Orangen blühen, die sie gemeinsam gesetzt haben …