Donnerstag, 18. Juni 2015

Was sind Flying Toilets?


Als wir den Titel eines Stücks des Hope Theatre Nairobi hörten, das sie im Rahmen ihrer Tour in Europa aufführen, kamen wir ins grübeln. "Flying Toilets" klingt irgendwie nach einer schlecht beratenen Artistik-Show, nach einer schrägen Jonglage-Nummer oder nach dem stillen Örtchen an Bord eines Airbus.
Aber als wir die Chance hatten im managerohnegrenzen-Büro mit David und Nick vom Hope Theatre über ihr Stück und die tatsächliche Bedeutung zu sprechen, blieben uns die frischen Stuttgarter Markt-Erdbeeren fast im Hals stecken, als wir erfuhren, was Flying toilets wirklich sind.

Flying toilets sind in Kibera, einem der großen Slums von Nairobi ein gängiges Phänomen. Da das  eng bewohnte Gebiet nicht über eine Kanalisation verfügt, behelfen sich die Menschen in der Not mit Plastiktüten, in die sie sich erleichtern. Die Tüten werden dann in hohem Bogen aus dem Haus geworfen. Daher stammt ihr Name.

Diese Erklärung ist viel ekliger, viel primitiver als erwartet. Eklig ist es vor allem in der Regenzeit, meinen David und Nick mit einem traurigen Lachen. Wenn der Regen die Erde aufweicht und alles aufspült. Dann kann man mit dünnen Flip Flops nicht sicher sagen kann, woraus der weiche Untergrund besteht, auf den man gerade getreten ist.

Wie kann so ein Phänomen entstehen, fragen wir uns?
Das Stück des Hope Theatre versucht, das eindringlich zu vermitteln. Es handelt von Monica, einer jungen Frau, die mit ihrer Familie in einer engen Hütte in Kibera lebt.

„Man hat zwar Latrinen gebaut, aber niemand hat nachgedacht. Wenn ich nachts zu einer Latrine gehe, dann brauche ich etwa 4 Minuten – durch kleine, enge, oft rutschige Gassen. – Ich bin ein Mädchen...! Überall lauern Straßenbanden. Oder betrunkene Männer kommen Dir entgegen. Die fackeln nicht lange... Meine Schwester, als sie eine junge Frau wurde – sie hat sich geschämt es in der Hütte zu machen – sie ist zur Latrine gegangen, in der Nacht ... und ist nicht mehr zurückgekehrt. Wenn ich es nachts tun muss dann verwende ich eine kleine Plastiktüte. In die mache ich hinein. Und dann – werfe ich sie über die Dächer – so weit es geht. Das nennen wir „Flying Toilets.“

Das Stück geht noch weiter. Es prangert an, dass Kibera seit vielen Jahren eine Art Lieblingsobjekt von Hilfsorganisationen aus aller Welt ist. Diese kommen, setzen ihre gut gemeinten Projekte um, aber denken sie in vielen Fällen nicht zu Ende. Die Latrinen sind ein solches Beispiel.

„In Kibera leben knapp 1 Million Menschen. Können Sie Sich vorstellen, was passiert, wenn es mehrere Tage regnet. Kibera liegt an einem Hang – dann rinnt die ganze Sache aus den Latrine-Becken heraus und durch unsere Hütten hindurch in den kleinen Fluss.

Seit 50 Jahren werden Fotos von unserem dreckigen Wasser und unseren kleinen Hütten und unseren bettelnden Kindern gemacht. Aber es ist nicht möglich, einen Kanal zu bauen. Jede Hilfsgruppe macht ihr eigenes Projekt. Das sind gut Projekte. Schulen, Fußballgruppen, Selbsthilfegruppen für Mädchen, Computerschulungen, Medizinische Informationen – zum Beispiel haben wir gelernt, dass wir mehr Wasser trinken sollen. Wegen unserer Gesundheit. Sehr witzig! Trinkwasser kostet Geld und ich muss noch öfter in der Nacht...

Seit 50 Jahren kommt die reiche Welt zu uns um uns zu helfen. Aber das einzige was sich verbessert hat ist die Qualität der Fotos und Filme von unserem dreckigen, verseuchten Viertel.
Die Hilfsgruppen denken an ihre vielen wichtigen Projekte, aber an Kibera – an Kibera denkt niemand.“


David und Nick waren beide in die Entwicklung des Theaterstücks eingebunden. Sie bestätigen, dass es die tägliche Wirklichkeit gut und ungeschönt widergibt. Sie sprechen ehrlich über die Verzweiflung, die sie an manchen Tagen deshalb überkommt. Und sie sprechen auch über den Widerspruch zwischen der gutgemeinten Hilfe und gleichzeitigem Egoismus der Hilfsorganisationen, die Symptome bekämpfen aber keine Ursachen.
Uns als managerohnegrenzen stellte sich dabei die Frage: Was können wir ganz konkret besser machen, um Menschen wirklich zu helfen?

Zuhören ist unser erster Ansatz.
Fast zwei Stunden haben wir mit David und Nick gesprochen. Zwei jungen Männern mitte zwanzig, die beide aus Leben erzählen, als wären sie Mitte vierzig. Sie sind beide sehr ehrgeizig, aber auch sehr realistisch. Sie haben ihre Geschichten erzählt, von ihren Sorgen, aber auch von ihren Hoffnungen.
Gemeinsam haben wir die Idee eines MECC für Kibera diskutiert- eines Managerswithoutborders Enterprise Competence Centers, einer Anlaufstelle für Menschen mit Geschäftsideen, Kontaktpunkt und Beratungsstelle für Kleinunternehmen. Unsere Erfahrung ist, dass es diesen oft an den grundlegendsten Management und Administrationstechniken fehlt. Es kommt sogar vor, dass KleinunternehmerInnen Verluste erwirtschaften, da sie nicht wissen wie man korrekt Produktionskosten errechnet und so ihre Produkte mit Verlust am Markt verkaufen.
Das Konzept der MECCs hat mog bereits entwickelt. Jetzt möchten wir gemeinsam mit lokalen Partnern, darunter Nick und David, sehen, wie die Bedingungen dafür in Kibera sind.
Denn wir stimmen David in seiner Aussage zu: Knowledge is the way out.
Und genau dort liegt unsere Stärke. Wir sind positiv gestimmt, dass sich aus diesem Gespräch ein gutes Projekt entwickeln kann.

Angeregte Diskussion mit Nick und David im managerohnegrenzen Büro

Über das Projekt: Managerohnegrenzen und das Hope Theater sind schon mehrere Jahre in Kontakt. In 2013 war unser Manager Bernd Roggendorf vor Ort in Nairobi um mit dem Theater an der Entwicklung unabhängiger Strukturen zu arbeiten.

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