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Heute bei uns: Interview mit Helene Prölß
«Strom, Internet und eine warme Dusche sind plötzlich nicht mehr selbstverständlich»
22.10.15
Die Organisation Manager ohne Grenzen schickt erfahrene Führungskräfte für vier bis zwölf Wochen zu Entwicklungsprojekten ins Ausland. Die Manager suchen dort vor allem eine sinnhafte Tätigkeit. Helene Prölss*, Gründerin und Geschäftsführerin der Stiftung, über Komfortverzicht, verschobene Perspektiven und weshalb der Ansatz der Stiftung momentan besonders aktuell ist.
Von Kristina Reiss, Textagentur etextera
Frau Prölss, mit Hilfe Ihrer Stiftung werden Manager zu ehrenamtlichen Unternehmensberatern für Entwicklungshilfeprojekte. Wie kamen Sie auf diese Idee?
Irgendwann mit Anfang 50 habe ich mich gefragt: Was kann ich als Betriebswirtin und Inhaberin einer kleinen Werbeagentur eigentlich dazu beisteuern, dass es den Menschen auf der Welt besser geht? Mir fehlte die Sinnhaftigkeit meiner täglichen Arbeit, und ich hatte das Gefühl: Jeder kann helfen, nur ich nicht. Aus Gesprächen mit Freunden, die in der Entwicklungshilfe tätig sind, wurde mir dann klar: Meine Managementtools sind durchaus gefragt, wenn es darum geht, Armut anders zu begegnen. Die Idee war geboren, und der Name stand schnell fest – nachdem es bereits Ärzte, Ingenieure und Reporter «ohne Grenzen» gibt, musste unsere Stiftung auch auf dieser Linie angesiedelt sein.
Wer arbeitet bei Ihnen mit?
In unserem Büro in Stuttgart kümmern sich festangestellte und ehrenamtliche Mitarbeiter ums Projektmanagement, hier laufen die Fäden der Auslandseinsätze zusammen. Ehrenamtliche Manager und erfahrene Führungskräfte aus allen Branchen wiederum lösen Probleme im Ausland, die wir zuvor gemeinsam definiert haben. Als Hauptmotivation geben die Manager meistens an, etwas zurückgeben zu wollen. Für viele ist es auch so eine Art Sinn-Sabbatical. Zwischen 10 und 15 Führungskräfte entsenden wir pro Jahr – mehr schaffen wir logistisch nicht. Darunter sind oft Manager aus der Schweiz. Es gab auch schon Überlegungen, dort eine Niederlassung zu etablieren. Aber momentan sind wir noch zu klein.
Was für Projekte begleiten Sie?
Grundsätzlich gilt: Nicht wir suchen unterstützenswerte Projekte, sondern die Betroffenen müssen selbst aktiv werden und auf uns zukommen – über diverse Plattformen etwa oder Fördervereine. Dieser nachhaltige Ansatz ist die Grundlage unseres Modells. Aktiv sind wir in über 30 Ländern – wobei die erste Frage zunächst immer lautet: Ist das Land überhaupt förderungswürdig, oder gibt es Strukturen vor Ort, mit denen es das betreffende Projekt auch ohne unsere Unterstützung schafft?
Eine Produktion von Sisalteppichen wieder in die schwarzen Zahlen geführt
Was haben Sie zuletzt konkret unterstützt?
In Tansania hatten wir gerade einen Tandem-Einsatz: Ein erfahrener Manager begleitete dort gemeinsam mit einer Nachwuchs-Führungskraft eine Produktion von Sisalteppichen. Diese war mit Hilfe einer Spendenorganisation aufgebaut und dann in die Eigenständigkeit entlassen worden – worauf die Firma in die Pleite schlitterte. Mit Analyse, Planung, gezieltem Marketing und diversen Massnahmen zur Produktverbesserung, konnte der Betrieb dank unserer Hilfe nach einem Vierteljahr schwarze Zahlen schreiben und ist nun wieder eigenständig. Und das Wichtigste: Die Arbeitsplätze von 30 Mitarbeitern wurden gerettet – was für sehr viele Menschen überlebensnotwendig ist, weil an jedem Mitarbeiter wiederum fünf bis zehn Personen hängen und von dessen Verdienst leben.
Wie finden Manager und Projekte zusammen?
Die Führungskräfte bewerben sich ganz normal mit ihrer Vita, und wir matchen dann konsequent. Bedingung für die Manager ist dabei die Teilnahme an unserem vorbereitenden Intensivseminar – in einem ersten Teil geht es ums Einsatzland, im zweiten um das konkrete Projekt. Momentan jedoch haben wir mehr Projekte, die wir gerne unterstützen würden, als Leute, die für diese Aufgabe in Frage kämen.
Weil es zu wenige Führungskräfte gibt, die sich für solche Einsätze begeistern lassen?
Das nicht; aber die grösste Hürde ist die Zeit, die sie dafür aufbringen müssen. Es reicht eben leider nicht, nur für ein paar Tage irgendwohin zu reisen. So hat die Erfahrung gezeigt, dass es sinnvoll ist, mindestens vier und maximal 12 Wochen für solch einen Einsatz aufzubringen. In dieser Zeit arbeiten die Manager völlig ehrenamtlich. Weil wir selbst als Organisation auf Spenden und Förderung angewiesen sind, müssen wir auch von den Führungskräften einen Eigenanteil verlangen.
Ergebnisorientierte Manager treffen auf eine völlig andere Welt
Westliche Führungskräfte verlassen ihr effizient organisiertes Arbeitsumfeld, um in Entwicklungsländern Firmen auf die Sprünge zu helfen – dies verläuft sicher nicht ohne Schwierigkeiten.
In der Tat ist viel interkulturelle Kompetenz gefragt. Natürlich sind die Manager in der Regel unglaublich ergebnisorientiert und gehen meist mit ganz anderen Vorstellungen ins Projekt. Vor Ort sind die Gegebenheiten dann oft völlig anders als erwartet. Da muss ich als westliche Führungskraft zunächst akzeptieren lernen, dass ich zwar mein Know-how gebe, es aber vielleicht drei Tage dauert, bis ein Meeting zustande kommt. Die Frage lautet dann: Wie bringe ich den Mitarbeitern dort Wertschätzung entgegen, obwohl die Prozesse völlig andere sind? Hinzu kommt, dass man auch mit einem gewissen Komfortverzicht zurecht kommen muss: Strom, Internet und eine warme Dusche sind plötzlich nicht mehr selbstverständlich. Gleichzeitig liegt hier aber auch der grösste Eigennutzen für die Führungskräfte: So hat die komplette Perspektivenverschiebung einen unglaublich positiven Effekt auf die Selbstreflexion. Deshalb ist solch ein Einsatz sowohl Herausforderung als auch riesen Chance. Und vor allem eine Win-Win-Situation für beide Seiten.
Was möchten Sie mit Manager ohne Grenzen noch erreichen?
Nach zehn Jahren haben wir unser Potential noch lange nicht ausgeschöpft. Gerade in der aktuellen Flüchtlingsthematik zeigt sich, wie wichtig es ist, Existenzen vor Ort zu sichern, so dass Menschen in ihrer Heimat Perspektiven finden – dann flüchtet auch niemand (wobei ich hier nicht von Kriegsflüchtlingen spreche). Genau das ist seit Jahren unser Thema, daran arbeiten wir weiter und sind noch lange nicht am Ende.
Zur Person:
*Helene Prölss ist Diplom-Betriebswirtin, sowie Gründerin und Leiterin der Stiftung Manager ohne Grenzen. Seit 10 Jahren unterstützt die in Stuttgart ansässige Organisation mit ihrem zentralen Projektmanagement internationale Entwicklungsprojekte, Wirtschaftsinitiativen, Existenzgründer und KMUs mit wirtschaftlichem Know-How. Ehrenamtliche Fach- und Führungskräfte werden dabei als Manager ohne Grenzen in die Projekte entsandt, um mit ihrem Wissen vor Ort unmittelbare Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten. Seit 2005 wurden so über 60 Projekte in mehr als 30 Ländern erfolgreich durchgeführt.
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